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White Cubes, Black Spaces

Museen stellen immer noch koloniale Raubkunst aus. Im Zuge der Debatte um die Dekolonialisierung westlicher Wissensbestände wird diese Ausstellungpraxis zunehmend problematisiert. Schwarze Künstler*innen wie Westside Boogie, Pa Salieu oder The Carters enttarnen Museen als Räume, wo Schwarze Kultur oftmals gebraucht wird, um Ideologien des Weissen, überlegenen Westens zu rechtfertigen. Diese Weissen Räume werden in ihren Musikvideos dekonstruiert und als Schwarze Räume neu gestaltet.



28.01.2022


Entré

Wir öffnen die Tür zum Museum. Weisses Licht scheint uns entgegen. Als wir eintreten, hallen unsere Schritte auf dem glatten Boden des White Cube wider. Dabei handelt es sich um einen Raum mit weissen Wänden. Neonröhren dienen als Deckenbeleuchtung. Brian Doherty kritisierte diese Ausstellungspraxis vehement.[i] Ein weisser, lichtdurchfluteter Raum wirkt wie eine Kirche und das Kunstwerk darin ‹heilig›, fast schon unantastbar. Nichts soll uns Besucher*innen von diesen Kunstwerken ablenken.


Das Weiss verkörpert die Obsession der Moderne mit Reinheit und hochstehender Sittlichkeit. Architektur, die im 20. Jahrhundert nicht weiss und steril, sondern farbig und ornamental war, wurde ‘primitiv’ genannt, argumentiert die Videokünstlerin Hito Steyerl.[ii] In solchen Weissen[iii] Räumen wurde und wird nicht nur die Kunst, sondern auch die Ideologie eines ‹überlegenen Westens› zelebriert. Das Ornamentale, ‹Wilde› und ‹Primitive› wurde in Landes- oder Völkerkundemuseen und sogenannten Kuriositätenkabinetten ausgestellt.



Die Art, wie eine Ausstellung kuratiert wird, beeinflusst, ob wir von hochkultureller oder kolonialer Kunst sprechen. In staatlichen Museen, wie beispielsweise im British Museum oder im Louvre, sind bis heute noch Kunstwerke aus kolonialen Kontexten ausgestellt. Die Museen des 19. und 20. Jahrhunderts dienten neben der Befriedigung einer ethnografischen ‹Neugier› unter anderem dazu, das ‹Andere› erklären und vermitteln zu wollen. Dieses eurozentristische Wissensverständnis ging mit dem westlichen Imperialismus Hand in Hand.

Koloniale Museumsgeschichte wurde lange nicht aufgearbeitet. Die ethnografische Forschung wurde so dargestellt, als wäre sie in einem herrschaftsfreien Raum geschehen. Das ‹Sammeln›, oder präziser: ‹Stehlen›, kolonialer Kunstwerke wurde vielfach als unschuldig dargestellt.[iv] Dabei sind diese Räume keineswegs unschuldig. In diesen ‹reinen› Wissensräumen wurden essentialisierende Vorstellungen von Nationen, Identitäten, Kulturen und letztlich auch ‹Rassen› mitkreiert und reproduziert.


Gestohlene Kunstwerke wie die Benin Bronzen sind bis heute im British Museum zu sehen. Ihr Ausgestellt-Sein in einem Weissen Raum weit weg von ihrem ursprünglichen Kontext eröffnet immer noch Räume kolonialer Unterdrückung, kolonialer Gewalt und des Mordes an Kolonisierten. Das Museum ist durchzogen von grausamen Geschichten. Wir können diesen nicht entfliehen. Das Vergangene verfolgt uns bis in die Gegenwart.


Die gestohlenen Objekte sind nicht nur ‹nicht lebendig›, sondern vielmehr auch Zeugnisse des Todes.[v] Für Museen stellt sich heute zwingend die Frage, wer was ausstellen darf und wer nicht? Welche Perspektive auf die Geschichte wird gezeigt und welche nicht? Diese Fragen werden in den letzten Jahren auch vermehrt in Musikvideos verschiedener Schwarzer Künstler*innen verhandelt.


Pain On Display


Im Raum vor uns sind zwei weisse Sockel zu sehen. Wo normalerweise Kunstobjekte stehen würden, sehen wir zwei Menschen. Bei genauerem Hinsehen, stellen wir fest, dass es zweimal der Westcoast-Rapper Boogie als Miniatur ist. In der einen Position ist er tödlich verwundet und blutet stark. In der anderen sieht man ihn mit einem blauen, geschwollenen Auge im Gesicht, ein schlafendes Kind ist in seinen Armen. Wir stehen zwei möglichen Erfahrungen in der Lebensrealität eines Schwarzen Rappers gegenüber. Boogie berichtet in seinem Rap von einer Welt, die für uns fremd ist.


Talking empty homes with a fridge in it / Talking juice cartons with a sip in it / Talking ham sandwich with the chips in it

Durch seine Lyrics bekommen wir einen Einblick in den Alltag eines Schwarzen Mannes in den USA, welcher von den Kunsthallen des Weissen Bildungsbürger*innentums weiter nicht entfernt sein könnte. Die Weissen Besucher*innen, die mittlerweile den Raum gefüllt haben, blicken konzentriert und distanziert auf die beiden Ausstellungsobjekte … aber Boogie lebt doch, oder? Macht ihn das nicht zu einem Ausstellungssubjekt? Wie kann ein Objekt in einem Museum lebendig sein?


Boogie scheint seine Menschlichkeit auf mehrere Arten zu verlieren: Er ist ausgestellt. Die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels ist noch immer in seinen Körper eingeschrieben. Wie bei einer Auktion in einer Kunstausstellung wurden Sklav*innen in den USA auf Podesten ausgestellt und versteigert. In der theoretischen Bewegung des Afropessimismus wird davon ausgegangen, dass das Leid des Schwarzen Menschen dazu dient, die Lebendigkeit des Weissen Menschen zu bestätigen. Nur dadurch, dass wir Schwarzes Leid tagtäglich sehen, sei es im Fernsehen, auf YouTube oder hier im Museum, werden sie zu ‘Nicht-Menschen’ und wir zu ‘Menschen’. «The antagonist of the worker is the capitalist. The antagonist of the Native is the settler. But the antagonist of the Black is the Human being.», schreibt Frank B. Wilderson III.[vi]


Man könnte Boogies Situation aber auch afrofuturistisch lesen. Einerseits ist die Invasion und Versklavung Afrikas durch die europäischen Imperien in dieser Lesart als Landung von menschenversklavenden Aliens auf der Erde zu verstehen.[vii] Sie erscheinen mit ihren (Raum-)Schiffen am Horizont und entreissen Menschen ihrer Heimat. Andererseits wird Boogie durch sein ‘ausgestellt-sein’ selbst zum fremdartigen Wesen, zum ‘Alien’.Als weitere Lesart bietet sich der Afrosurrealismus an: Die Surrealität und Grausamkeit des strukturellen Rassismus im Schwarzen Alltag wird schonungslos dargestellt und dabei für Weisse Personen erst greifbar gemacht. Die von Boogie gezeigte makabre Ausstellung wird im Video als Weisser Raum enttarnt und gleichzeitig in einen Raum Schwarzen Leids transformiert. Sie wird zu einem Black Space.


Black Space?


Wir gehen einen Raum weiter. Uns erwartet das komplette Gegenteil zu Boogies White Cube. Der Raum, den Pa Salieu für sein Musikvideo B***K gewählt hat, ist ein Black Cube. Wo zuvor weisse Säulen standen, ragen jetzt schwarze Monolithen in der fast schon kosmischen Weite wie Alien-Artefakte aus dem Boden. Der Raum erinnert an eine alte Fabrikhalle, welche für Kunstzwecke benutzt wird. Es fühlt sich so an, als würden hier regelmässig Ausstellungen von szenigen Kunstschaffenden stattfinden. Die Black Box wurde Ende des 20. Jahrhunderts als Gegenpol zum White Cube etabliert. Es handelt sich dabei um einen Raum, in dem andere sinnliche Ebenen angesprochen werden sollen, da die Kunst nicht komplett ausgeleuchtet ist. Somit werden die Ausstellungspraktiken des White Cubes dekonstruiert. Wo im Video von Boogie die distanzierten Blicke der Weissen Besucher*innen regiert haben, findet in diesem Raum Blickkontakt auf Augenhöhe statt. Im ersten Shot sieht uns Pa Salieu direkt in die Augen, als er mit entblösstem Oberkörper, Goldketten um den Hals und Wave Cap auf dem Kopf ins Zentrum des Bildes stolziert.


Yeah, di music Black (Black) Skin tone Black (Black) Di lifestyle Black (Black) But they fear that fact (Black)

In einem Interview beschreibt der Rapper aus Coventry (Grossbritannien), dass seine Hautfarbe schon seit seiner Geburt immer negativ konnotiert war. Das erklärt die Zensur im Songtitel ‘B***K’. ‹Weiss-Sein› sieht sich selbst als nicht-rassisch und universell. Diese Eigenschaften von ‹Weiss-Sein› bringen den Schwarzen Körper als ihr negatives Gegenstück, als Inbegriff von ‹Finsternis›, ‹Gefahr› und anderen negativen Bedeutungen hervor.[viii] Pa Salieu rappt: «Tomorrow, if I’m dead up, they say I’m in a gang (Facts)». Man könnte seine Lyrics durchaus afropessimistisch lesen, jedoch handelt es sich hier nicht vorrangig um einen Raum des Leids.


Wie Little Simz, Slowthai und diverse andere Rapper*innen seiner Generation demontiert auch Pa Salieu das rassistische Weisse Grossbritannien. Durch Multiplikation von sich selbst und diversen anderen Schwarzen Personen zeigt er im Video die Diversität Schwarzer Alltagswelten. Er selbst ist zuerst in klassischer Roadman-Montur zu sehen. Wir sehen im Musikvideo aber auch einen als tribal markierten Krieger, Black-Panther-Uniformen und Schwarze Intellektuelle. Jede einzelne auftretende Person repräsentiert eine mögliche Facette der afrikanischen Diaspora. Schwarze Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird gelebt. Das Musikvideo verbindet alle drei zeitlichen Ebenen in einem Medium.


Die Vergangenheit wird als ein vorkoloniales Afrika gezeigt. Mystizismus erfüllt so die Zukunftsvisionen der Schwarzen Gemeinschaft. Der gegenwärtige Kampf, wie er noch immer geführt werden muss, wird durch identitätsstiftende Narrative einer Schwarzen Geschichte gefüttert. Diese vergangenen und gegenwärtigen Kämpfe ermöglichen die Hoffnung auf eine Schwarze Zukunft. Surreale und futuristische Ästhetiken, wie die afrikanische Königin oder Göttin am Schluss des Videos, machen die Black Box zu einem Ort der Schwarzen Hoffnung. Was im ersten Video wie ein Mausoleum erschien, in dem Boogie als (fast-)toter Schwarzer Nicht-Mensch ausgestellt war, ist hier ein musealer Raum, in dem Schwarze Subjekte leben.


Put ‘em all on a Spaceship


Im nächsten Raum erwartet uns ein wohlbekanntes Portrait: Die Mona Lisa. Unser Blick richtet sich aber nicht auf Leonardo Da Vincis Gemälde, sondern auf die Personen, die vor ihm zu sehen sind: Die Carters (Beyoncé und Jay Z) stehen in blauem Anzug und rosa Kleid vor dem Gemälde und blicken uns an. Im Musikvideo «Apeshit» erobert die Black Royalty den Louvre. Weisse Geschichtsschreibung par excellence wird als solche enttarnt und dekonstruiert. Räume, die normalerweise von Tourist*innen geflutet sind und Frankreich jährlich Millionen einspielen, werden von den zwei wohl einflussreichsten kontemporären Schwarzen Künstler*innen gemietet und für ein Musikvideo genutzt.


Die Räume sind erfüllt von westlicher und vor allem Weisser Geschichtsschreibung. Doch mit dem 2017 erschienenen Musikvideo dekonstruieren und transformieren die Carters diese Weissen Räume. Mit dynamischen Choreografien erobert Beyoncé ein imposantes Treppenhaus im Louvre. Schwarze, weiblich gelesene Körper bewegen sich auf der Marmortreppe. Die Carters thronen über der Performance und stehlen der Nike von Samothrake die Show. Beyoncé benutzt ihre Blackness als Waffe gegen eurozentrische Vorstellungen von Kultur und Schönheit.


In einem anderen Shot sehen wir, wie Beyoncé mit denselben Frauen vor dem Wandgemälde Le Sacre de Napoléon performt. Der französische Kaiser wirkt trotz erhöhter Position klein hinter der Königin der kontemporären Black Music, denn sie ist die selbsternannte Queen Bee. Die Körper der Schwarzen Frauen zerstören die Narrative der ‹Unterlegenheit›, indem sie dem abgebildeten Kolonisator die Show stehlen. Beyoncé nimmt sich den Raum eines Weissen Patriarchen.


Wo in den zuvor besprochenen Räumen noch Leid und Kampf geherrscht haben, finden wir uns hier in Hallen des Triumphs wieder. Die Carters schauen auf uns herunter und lenken unsere Aufmerksamkeit weg von den Meisterwerken hin zu ihrem Siegeszug durch die Bastion ‹westlicher Überlegenheit›. In diversen Shots beziehen sich Beyoncé und Jay Z auf die antike ägyptische Hochkultur. Sie dient symbolisch dazu, den Schwarzen Körper mit königlicher statt unterdrückter Geschichte aufzuladen. Sie symbolisieren aber auch Schwarze Zukunft. Die Textzeile «Call my girls and put them all on a spaceship» fasst die afrofuturistische Aspiration einer Schwarzen Zukunft perfekt zusammen. In einem letzten Shot werfen uns die Carters ein letztes Mal einen Blick zu, bevor sie sich abwenden, um der Mona Lisa doch noch einen kurzen Moment zu widmen. Was als Eindruck bleibt, waren nicht die leblosen Kunstwerke an den Wänden, sondern die lebendige Performance vor ihnen.[ix]


Finissage

Museale Räume sind aus einer Weissen Wissenstradition heraus entstanden. Sie dienen oftmals dazu, Weisse Perspektiven auf Geschichte darzustellen. In allen drei Musikvideos werden Weisse Räume dekonstruiert und als Räume des Schwarzen Leids, des Schwarzen Kampfes, der Schwarzen Hoffnung und des Schwarzen Triumphs rekonstruiert. Auch wenn die Räume nur temporär Schwarz werden, besitzen Musikvideos die Kraft, die Räume wenigstens in unseren Köpfen neu zu streichen.


 

[i] Brian O’Doherty: Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space. Berkeley 1976 (Ed. 2008). [ii] Hito Steyerl: White Cube und Black Box. Die Farbmetaphysik des Kunstbegriffs. In: Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weissseinsforschung in Deutschland. Münster 2005, S. 135-143, hier S. 135-137. [iii] Um zu markieren, dass ‹Schwarz› und ‹Weiss› hier keine Farbwerte bezeichnen, sondern historisch gewachsene soziale Konstruktionen des ‹Schwarz-› bzw. ‹Weiss-Seins›, werden die Adjektive gross geschrieben. [iv] Friedrich Bose: Das Humboldt-Forum. Eine Ethnografie seiner Planung. Berlin 2016, S. 120-123. [v] Dan Hicks: The British Museums. The Benin Bronzes, Colonial Violence and Cultural Restitution. London 2020, S. 16. [vi] Frank B. Wilderson III.: Afropessimism. New York 2020, S. 241. [vii] Isiah Lavender III.: Afrofuturism Rising. The Literary Prehistory of a Movement. Columbus 2019. S. 9. [viii] George Yancy: Black Bodies, White Gazes. The Continuing Significance of Race in America. Lanham Maryland 2017, S. 245. [ix] Die Kunstwerke selbst belebt Heavy Baile in seinem Video zu Noturno 150.







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